Der Kunstverein L102.art eröffnet Künstler*innen der Kunstrichtungen Malerei, Fotografie, Video, Skulptur, Street-Art, Performance- und Konzeptkunst die Möglichkeit, Arbeiten und Ideen zum Thema:
MANGEL
zu entwickeln.
Thema
Als wir uns im Jahr 2018 in unserem ersten Kunstwettbewerb mit „Moments of Change“ auseinandergesetzt haben, standen die Aufnahme syrischer Flüchtender ( „Wir schaffen das“) und der Atomausstieg wegen des Unglücks in Fukushima im Fokus. Seitdem hat sich die Welt massiv verändert. Nach zwei Jahren Corona-Pandemie beherrscht der Krieg in der Ukraine unser Leben, sei es tatsächlich oder jedenfalls gefühlt. Zum ersten Mal seit dem 2. Weltkrieg spüren wir in unserer Wohlfühl- und Überflussgesellschaft wieder einen MANGEL.
Während der Corona-Pandemie waren wir mit einem MANGEL an Freiheitsrechten konfrontiert, beispielsweise durch die Masken- oder Testpflicht, Schulschließungen, den flächendeckenden Lockdown oder die eingeschränkte Verfügbarkeit von Impfstoffen oder Produkten des täglichen Lebens. Für viele war der Mangel an echten sozialen Kontakten jedoch das gravierendste Erlebnis. Nicht zuletzt wurden aber auch Kunst und Kultur buchstäblich von heute auf morgen aus unserem Leben gestrichen.
Jetzt sehen wir uns einem MANGEL bestimmter Ressourcen gegenüber. Gas und Strom könnten knapp werden, es könnte zu tagelangen Blackouts kommen. Lieferketten sind unterbrochen, manche technischen Produkte sind nicht verfügbar oder nur zu exorbitanten Preisen. Wir richten uns ein auf fehlende Straßenbeleuchtung und Weihnachtsdekoration, frierende Menschen (Bürger*innen) in ihren Wohnungen oder ihren Büros und höhere Verbraucherpreise. Personal, vor allem in den Pflegeberufen, fehlt oder ächzt vor Überlastung und einem MANGEL an Zeit. Vor allem in den Städten herrscht akuter MANGEL an erschwinglichem Wohnraum. Wir sehen uns einem Krieg vor unserer Haustür gegenüber und damit einen MANGEL an Frieden und Sicherheit.
Niemand kann in die Zukunft schauen. Wird es überhaupt so schlimm kommen, wie es viele prophezeien oder machen wir uns mit typischer German Angst zu viele Sorgen? Wir sind, verglichen mit den Menschen in der Ukraine, noch immer in einer komfortablen Lage, da wir mit den unmittelbaren Folgen des Krieges, also Tod, Verletzung, Einsamkeit und Zerstörung, nicht konfrontiert sind. Trotzdem nehmen wir Unsicherheit und Betroffenheit wahr. Viele von uns erleben zum ersten Mal in ihrem Leben einen MANGEL. Anders als unsere Eltern und Großeltern, die Krieg, Vertreibung, Hunger und Kälte noch am eigenen Leib erlebt haben, sind die meisten von uns in Wohlstand, Frieden und Freiheit aufgewachsen.
Wie wird uns die jetzige Krise treffen? Wird es so schlimm, wie wir jetzt glauben oder vielleicht noch viel schlimmer, als uns die Politik sagt? Werden wir bald und dauerhaft auf Wohlstand verzichten müssen? (allein durch die horrenden Staatsausgaben für Corona-Hilfen und andere Rettungspakete?) Wie verändert sich die Gesellschaft in der Krise? Rücken wir wieder enger zusammen und – um im Bild zu bleiben – wärmen uns gegenseitig oder klafft die Schere derjenigen, die von Rücklagen zehren können und denen, die schon vorher von der Hand in den Mund gelebt haben, noch weiter auseinander?
Vielleicht suchen wir uns aber auch endlich alternative Energien und Lebensformen, verzichten notgedrungen auf die eine oder andere Flugreise und steigen vom Auto auf das Rad oder öffentliche Verkehrsmittel um, weil wir die Spritpreise nicht mehr zahlen können.
Mit unserem Wettbewerb wollen wir Künstler*innen einladen, diese Fragen zum Thema MANGEL zu beleuchten, eigene Positionen zu entwickeln und uns möglicherweise selbst den Spiegel vorzuhalten.